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eine frage des begehrensartikel aus planet 44/2006
Afrikanische Schriftstellerinnen sind nicht nur Zeuginnen von Unterdrückung und Krieg. Sie sind in erster Linie Autorinnen, die etwas über Sprache, über universelle menschliche Visionen und Wünsche mitzuteilen haben. VON MARTINA KOPF
Mehr als 20 Jahre ist es her, da wagte eine junge kamerunische Künstlerin einen prophetischen Entwurf. In einem Liedroman wie Werewere Liking ihre Form des Erzählens nennt, die sich gewandt zwischen Prosa, Poesie, Satire, zwischen mythischer Erzählung und dem Alltagsjargon moderner afrikanischer Lebensrealitäten bewegt zeichnete sie die Vision einer neuen Rasse. Elle sera de jaspe et de corail aus Jaspis und Koralle wird sie sein so der Titel und die Prophezeiung, aus Jaspis und Koralle, aus Atem und Feuer. Auf neun fiktiven Tagebuchseiten sammelt sie die Ingredienzien, die es für diese afrikanische Renaissance braucht, der sich Liking in ihrem gesamten literarischen, dramaturgischen und kulturpolitischen Werk verschreibt. Ein Teil davon ist das Begehren. Doch das Begehren, das ihr vorschwebt, will erst erspürt und geschaffen werden. Es ist eine Idee von einer Hinwendung zum Leben, einem Wünschen und einer Energie, die sich von einem alles beherrschenden phallischen Begehren unterscheiden, das sich in immer neuen Höchstleistungen aufrichtet, in Krieg und Gewalt entleert, das ebenso rasch wieder erschlafft wie es begeistert. Ihre Vision von Begehren gleicht mehr der Wellenbewegung des Ozeans. Sie spricht von einem Begehren, das dich bereichern würde ohne mich arm zu machen. Einem Begehren, das mich erfüllen könnte ohne dich zu leeren.
Zeugenschaft und Begehren Die Schriftstellerin in Afrika ist eine Zeugin, erklärt die simbabwische Autorin Yvonne Vera im Vorwort zu der von ihr herausgegebenen Erzählsammlung afrikanischer Autorinnen, in deutscher Übersetzung unter dem Titel Black Women erschienen. Sie entschuldigt sich nicht für das Tabu in ihrem Mund. Vera weiß, wovon sie spricht. Wie kaum eine andere Autorin legt sie in ihren Romanen die Gewalt bloß, mit der Frauen in einer von Krieg, ökonomischer Ausbeutung und autoritärer Politik geprägten Umgebung leben: Sexuelle Gewalt, Vater-Tochter-Inzest, illegale Abtreibung und Kindsmord sind die Themen, die sie in ihrem Schreiben berührt. Doch tut sie dies in einer dichten, poetischen Sprache, die all der Zerstörung zum Trotz Schönheit empfinden lässt. Zeugenschaft und Begehren dazwischen lässt sich ein Bogen spannen, weit genug, die Stimmen der Schriftstellerinnen, Geschichtenerzählerinnen, Sprachkünstlerinnen Afrikas zu fassen und ihnen ihre je eigene Originalität und Individualität zu lassen. Dies ist nicht selbstverständlich. Seit den 1960er-Jahren, als die meisten afrikanischen Staaten als Nationalstaaten ihre Unabhängigkeit erlangten, mischen Frauen in den noch jungen Nationalliteraturen mit. Der Freiraum, der sich ihnen im Schreiben öffnet, ist hart umkämpftes Terrain, das ihnen von verschiedenen Seiten auch gleich wieder streitig gemacht wird.
Umkämpftes Terrain Als die Nigerianerin Flora Nwapa 1966 mit Efuru einen der ersten von einer afrikanischen Frau in englischer Sprache geschriebenen Romane veröffentlicht, zeigen sich die Kritiker wenig gnädig: Frau Nwapa würde sich zu sehr mit häuslichen und Eheangelegenheiten befassen, eine Frauengeschichte eben, literarisch wenig überzeugend. Allemal soziologisch interessant, aber die Romanhandlung sei schlecht gestrickt und falle auseinander. Auffällig dabei ist, wie afrikanische Kritiker in der Rezeption weiblicher Autorinnen die gleichen Abwertungsmuster bedienen, mit denen das weiße, westliche Literatur Establishment den ersten Werken afrikanischer Romanciers begegnet. Im Fall von Efuru diesem vielschichtigen Panorama der Igbo-Gesellschaft der Kolonialzeit um 1930, angelegt als Lebensgeschichte der gleichnamigen Protagonistin Efuru, Tochter eines angesehenen Clans, die mit dem Mann, den sie selbst gewählt hat, durchbrennt, den Brautpreis selbst erwirtschaftet und nach zwei gescheiterten Ehen als kinderlose, erfolgreiche Geschäftsfrau Priesterin einer weiblichen Seegottheit wird sollte es 20 Jahre dauern und der Rückendeckung feministischer Literaturkritik bedürfen, bis auch die stilistische Kunst wahrgenommen und gewürdigt wird. Denn dieser Roman, der nahezu ausschließlich in direkter Rede geschrieben ist, vermittelt in schriftlicher Form die Lebendigkeit und den Fluss gesprochener, mitgeteilter und weitergegebener Rede auf eine Weise, die beim Lesen den Eindruck erweckt, die Stimmen all der Figuren zu hören, die diese Geschichte gleichsam selbst erzählen. Formal baut der Roman also auf einer zutiefst demokratischen Geste auf, mit der die Autorin ihr Schreiben quasi den ProtagonistInnen leiht, für sich selbst zu sprechen und ihre Geschichte selbst zu entwickeln.
Universelle Literatur Diese Kunst das Schreiben für die Stimmen derer zu öffnen, die aus der Schrift ausgeschlossen sind findet sich bei vielen afrikanischen Autorinnen wieder. In den Romanen der algerischen Schriftstellerin Assia Djebar sind es die Stimmen von Frauen, die im Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialmacht gekämpft haben. Aber auch die Stimmen von Frauen, die nie eine Schule von innen gesehen haben, denen es zuerst in der Kolonialzeit, dann im unabhängigen Algerien vorenthalten war, sich in einer von Männern kontrollierten Öffentlichkeit zu zeigen, zu bewegen und zu artikulieren. Frauen, deren Stimme immer nur im privaten Raum von anderen Frauen und von Kindern gehört wurde. Im Roman Der Preis der Freiheit der simbabwischen Künstlerin Tsitsi Dangarembga sind es unter anderem die Stimmen von schwarzen Mädchen in dem schwierigen Prozess, ein weibliches Selbst zu entwickeln und entgegen der Behinderung durch koloniale und patriarchale Vorschriften und Werte zu behaupten. Doch afrikanische Schriftstellerinnen kämpfen nicht nur gegen Ignoranz und Missachtung männlicher Zeitgenossen, die ihre Werke wenig wahrnehmen und würdigen. Auch eine scheinbar wohlwollende Rezeption im Westen, die auf Frauen- und Dritte- Welt-Solidarität aufbaut, engt ein. Nehmen Sie sich doch selbst bei der Nase: Warum lesen Sie afrikanische AutorInnen? Weil Sie etwas über Afrika erfahren wollen? Oder weil Sie Geschichten lesen wollen, in denen Sie möglicherweise etwas über sich selbst, über die Kunst der Sprache, über menschliche Visionen, Wünsche oder schlicht: über ein lebendiges Begehren erfahren wollen? Ein Begehren, dass möglicherweise Frauen und Männer über politische, ethnische, ökonomische Grenzen hinweg teilen oder zumindest einander mitteilen können?
Vielstimmigkeit Auf wunderbare Weise zeichnet zum Beispiel Véronique Tadjo, Schriftstellerin aus Côte dIvoire und Kosmopolitin in ihrem Roman Hinter uns der Regen das Bild eines Paars: Das große Verlangen nach einander ist schon lange vorbei, man lebt zusammen, man weiß nicht mehr so genau warum. Die alltägliche Existenz fordert, trennt, verlangt mehr ab, als sich in der Beziehung regenerieren lässt. Die Medienwirklichkeit dringt in Form der Flüchtlingsfrau aus Rwanda in die eigene Wirklichkeit ein, lässt sich nicht aus dem eigenen Leben wegleugnen und auch nicht integrieren. Selten wurden in der Literatur Stagnation, ihre Überwindung und das gemeinsame Wachsen in einer Langzeitbeziehung auf so sanfte und präzise Weise beschrieben, wurde dabei so gekonnt Persönliches mit Politischem verwoben wie in diesem Roman. Es braucht kein besonderes Interesse an Afrika, um diese Geschichte für ihre sprachliche Kunst und ihren Ausdruck zu schätzen. Ein ganz allgemeines Interesse an Literatur, an den Erzählungen des Lebens genügt. Mit ihrem Schreiben schaffen afrikanische Schriftstellerinnen Werke von einer Vielstimmigkeit, die immer auch darauf verweist, wie viel Schreiben und Lesen mit Hören zu tun hat. Denn gute SchriftstellerInnen sind in erster Linie Menschen, die gut zuhören können sich selbst, den Erzählungen ihrer Zeit und ihrer Umgebung.
Martina Kopf ist Redakteurin beim Südwind-Magazin und freie Lektorin am Institut für Afrikanistik in Wien.
Als Einstieg in weibliche afrikanische Literatur bieten sich zwei Publikationen von Martina Kopf an: Trauma und Literatur: Das Nicht-Erzählbare erzählen Assia Djebar und Yvonne Vera. Frankfurt, 2005, Brandes & Apsel
Die weibliche Spur Afrikas: Zwischen Literatur und Geschichte in Westafrika. Wien, 1998, turia + kant
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